…und ca. 60 bis 70 Prozent der Menschen in Deutschland sich impfen lassen (Stichwort Herdenimmunität). Das heißt, Politik und Verwaltung hatten mehr als neun Monate Zeit, sich mit allen beteiligten Akteuren abzustimmen, ein Impfkonzept (Prioritäten, Impforte, Anmeldung etc.) zu entwickeln und dieses auch auf seine Tauglichkeit hin auszuprobieren. Das ist offensichtlich versäumt worden und so bröckelt der Lack des „Pandemieweltmeister(s)“ doch ganz beträchtlich.  „Zu lange hat sich das Land im Glanz des frühen Erfolgs in der ersten Welle gesonnt“, kommentiert Marc Biese in der Süddeutschen Zeitung (SZ) vom 30./31.01.2021.

Lernfähigkeit, Lösungsorientierung und Dezentralität
Hier gilt es jetzt nachzubessern. Dies wird nur gelingen, wenn die Politik und die an der Planung und Umsetzung Beteiligten (Gesundheitsämter, kassenärztliche Vereinigung, Arztpraxen und Krankenhäuser etc.) sich als lernfähig erweisen und lösungsorientiert und kooperativ aufeinander zugehen. Dabei geht es nicht darum, dass keine Fehler gemacht werden dürfen. Das ist in einer solch neuartigen und komplexen Pandemiesituation gar nicht möglich. Wenn man aber zu Fehlern steht, steigen die Chancen, Konzepte schrittweise weiterzuentwickeln und zu optimieren.Nötig sind landesweite Rahmenkonzepte, die von den lokalen Akteuren in der Kommunikation mit den Betroffenen bzw. Nutznießer‘*innen (= den unterschiedlichen Impfgruppen) und deren Interessenvertretungen (z.B. stationäre, ambulante Pflegediente, Krankenhäuser, Seniorenbüros etc.) flexibel und auf die örtlichen Gegebenheiten hin angepasst umgesetzt werden können. Über 80 Jährige sind anders anzusprechen und einzubinden als Pflegkräfte oder andere Berufsgruppen. Da wir mit dem Impfen gerade erst begonnen haben und die Impfphase voraussichtlich bis in die zweite Jahreshälfte gehen wird, ist das Optimierungspotenzial beträchtlich und sollte genutzt werden.

Kitas und Schulen
Leider kann man für die Kitas und die Schulen bisher auch nicht davon sprechen, dass angemessene und flexible Rahmenkonzepte zur passgenauen lokalen Situation entwickelt, umgesetzt und kontinuierlich verbessert worden sind. Die Politik hat sich dem mit dem Verweis auf die Rechte der Kinder entzogen und nach der schrittweisen Beendigung des ersten und harten Lockdowns im Frühsommer 2020 konsequent aus ihrer Sicht, aber eigentlich eher starr, an der Öffnung der Kitas und dem Präsenzunterricht in den Schulen festgehalten. Auch die Zunahme der Infektionszahlen im letzten Herbst führten nicht dazu, einen sogenannten Plan B: Alternativen und Zwischenlösungen zu bzw. zwischen Öffnung für alle und vollständiger Schließung auf den Weg zu bringen. Alternative Konzepte – wie beispielsweise für die Schulen in Solingen (Blog vom 14.11.2020) – wurden von der Schulministerin in NRW verboten. Und Anfang Dezember wurden dann die für den zweiten November beschlossenen Maßnahmen des Lockdown light deutlich verschärft. Hierzu gehörte auch die – zumindest schien es erst so – vollständige Schließung von Kitas und Schulen kurz vor Weihnachten.

Unübersichtliche Gemengelage als Chance?
Die Schließung der Kitas wurde aber deutlich relativiert. Es gibt – nicht nur in NRW – weiterhin eine Notbetreuung, deren Inanspruchnahme in das Ermessen der Eltern gestellt ist. „In einem Schreiben des NRW-Ministeriums für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration vom 7.1.2021 an die Leitungen der Jugendämter in NRW heißt es: `Die Kindertageseinrichtungen bleiben grundsätzlich geöffnet. Ob Eltern das Angebot in Anspruch nehmen, entscheiden Eltern eigenverantwortlich. Die Einforderung von Arbeitgeberbescheinigungen als Voraussetzung für die Inanspruchnahme ist unzulässig.`“ (Blog vom 10.01.2021) Diese Entmachtung von Leitungen und Trägern (Blog vom 17.01.2021) hat insgesamt zu einer sehr unübersichtlichen Situation und Betreuungsquoten von 20 bis nahezu 100 geführt (gleicher Blog). Die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) titelte am 22.01.2021; „In vielen Kitas liegen die Nerven blank – Familien und Erzieher unter Druck. Einrichtungen bleiben offen“. Möglicherweise liegt aber in dieser chaotischen Situation die Chance, DAS für die jeweilige Kita passende Konzept der Notbetreuung zu entwickeln und umzusetzen. Voraussetzung: Eltern, Leitung und Träger bewegen sich aufeinander zu und stimmen sich entsprechend ab. Wie das im Rat der Tageseinrichtung angegangen werden könnte, können Sie in unserem Blog vom 24.01.2021 nachlesen. Die Jugendämer vor Ort könnten dies unterstützen. Dort finden sie auch weitere Vorschläge, wie die Kitas insvesamt coronasicherer gemacht werden können.

Nachtrag zur Schule
Auch in die nordrhein-westfälische Schulszene kommt Bewegung. „NRW gibt Schülern, die zu Hause nicht gut unterrichtet werden können, ab Montag bis zum 12. Februar die Chance auf Distanzunterricht in den Schulräumen. Das Angebot, das für alle Jahrgangsstufen gilt, ist für Kinder gedacht, `die es benötigen´, sagt NRW-Schulministerin Gebauer (FDP) im Landtag. Eine entsprechende Schulmail wurde an alle Schulen verschickt. Darin steht, dass die Schulleitungen den Distanzunterricht in der Schule anbieten. Die Rektoren treffen aber eine Auswahl, welche Schüler daheim `keine angemessenen Lernbedingungen´ haben, erläuterte das Ministerium.“ (WAZ 29.01.2021, Seite 1) Und: „Der Distanzunterricht gilt für alle Schüler vorerst bis zum 14. Februar. Danach könne es mit einer Mischung aus Distanz- und Präsenzunterricht weitergehen, sagte Gebauer. `Wenn Schulen und Verbände damit durch die nächsten Wochen kommen wollen, dann kann es selbstverständlich auch Wechselmodelle geben´, so die Ministerin. Dazu bedarf es aber `fairer´ Regeln für alle Schulen. Der Präsenzunterricht bleibe für sie erste Wahl.“ (Ebd.) Das liest sich so, als gebe die Landesregierung der einzelnen Schule nun die Chance, dass für sie unter den gegebenen Rahmenbedingungen (z.B. digitale Ausstattung, räumliche Möglichkeiten) mögliche und zur Zusammensetzung der Schülerschaft (bildungsnah oder -fern, häusliche Lernbedingungen, Belastungen der Eltern) passende Konzept zu entwickeln und umzusetzen. Die Regie liegt bei den Schulleitungen und ihren Kollegien.

Fazit: Gute Lösungen für Kitas und Schulen müssen vor Ort entwickelt und umgesetzt werden. Flexible und unterstützende Rahmenkonzepte auf Landesebene können diese Prozesse ganz maßgeblich unterstützen. Aber: Manchmal sind gute einrichtungs- und schulbezogene Lösungen auch bei chaotischen Rahmenbedingungen möglich. Voraussetzung: Man muss es vor Ort wollen!