Die Kinder akzeptieren die neue Situation
Unsere pädagogische Arbeit mit den Kindern und ihren Familien ist seit den bundesweiten Schließungen der Kitas im März 2020 erst einmal zum Stillstand gekommen. Ein von uns gestalteter Blog sollte die Kinder zuhause erreichen und den Eltern zeigen: “Wir sind für euch und eure Kinder da!” (Blog 27.4.2020 und Blog 14.05.2020) Im August 2020 konnte dann der Regelbetrieb in den Kitas wieder aufgenommen werden (Blog 19.8.2020). Dennoch gab es nach wie vor Abstriche in der Arbeit mit den Kindern, die wir machen mussten. Es gab nur wenig Möglichkeiten, die Kinder im Alltag selbst- oder mitbestimmen zu lassen. Toilettengänge mussten begleitet werden, wir entschieden, wo und mit wie vielen anderen Kindern gespielt werden durfte, Essen wurde vorgesetzt (Blog 14.9.2020).. Die Kinder haben das viel besser akzeptiert, als wir anfangs angenommen haben. In besonders stressigen Situationen haben die Kinder uns sogar mit großem Verständnis unterstützt, beispielweise: “Ich hab Durst, aber ich darf mir nicht selbst etwas nehmen. Ich warte aber, bis du das andere Kind umgezogen hast.” – Ausflüge und Exkursionen, die die Kinder in ihrer Selbstständigkeit und ihrem Wissenserwerb fördern, den Gruppenzusammenhalt stärken und ihnen Spaß und Abwechslung bieten sollen, sind nicht möglich. Die Kinder beschweren sich nicht. Hin und wieder fragen sie, wann wir denn mal wieder in die Bücherei fahren oder schwimmen gehen würden. Sie akzeptieren aber, wenn wir ihnen erklären, dass das wegen Corona im Moment leider nicht möglich ist. Die Kinder haben sich größtenteils an die Bring- und Abholsituation an der Tür gewöhnt. Sie werden morgens mit Sack und Pack an der Tür von uns im Empfang genommen und am Nachmittag auf Zuruf von uns angezogen und mit eben so viel Gepäck an ihre Eltern übergeben (notwendige Kuscheltiere müssen wegen Covid-19 immer wieder mit nach Hause gegeben werden, Fahrradhelme und Fahrzeuge werden auch zuhause gebraucht, Wechselwäsche, nasse Badebekleidung etc. müssen gewaschen werden). Den Kindern wird seit Wiederaufnahme des Regelbetriebes recht viel zugemutet und gleichzeitig auch einiges genommen.

Nach anfänglicher Überforderung kam der Fortschritt
Anfangs waren wir Erzieher*innen mit der Situation noch völlig überfordert. Wirklich pädagogische Arbeit am Kind schien kaum möglich zu sein. Mit der Zeit und mit der Akzeptanz, dass es ein Leben ohne Corona für eine längere Zeit nicht mehr geben wird, gelingt es uns meiner Meinung nach jedoch Stück für Stück, eine “neue Normalität” für die Kinder zu erschaffen. Dazu bedarf es einiger Veränderungen. Im Stuhlkreis am Morgen dürfen einige Kinder Karten mit Bildern aus einer Kiste ziehen. Jedes dieser Bilder steht für ein bestimmtes Kreisspiel oder Lied. Die Spiele und Lieder haben wir gemeinsam mit den Kindern zusammengetragen und auch die Bilder wurden zum Teil von Kindern mit ausgewählt. Auf die Art können die Kinder nun den Ablauf des Stuhlkreises bestimmen. Das kommt bei den Kindern sehr gut an. Zwar hätten wir den Stuhlkreis auch schon vor der Gesundheitskrise von den Kindern gestalten lassen können, aber wir kamen erst jetzt darauf. Da sind wir in unseren täglichen Routinen stecken geblieben. Und Corona hat Druck gemacht, genauer hinzuschauen und  neue Wege zu finden, wie wir die Kinder in den Alltag einbeziehen können. In dieser Woche erstellen wir mit den Vier- und Fünfjährigen einen Wochenplan für Kinder. Er wird sichtbar in der Gruppe hängen und es kann jede Woche aufs Neue mit den Kindern überlegt werden, wie die Woche ablaufen soll. Seit zwei Wochen reflektieren wir jeden Nachmittag mit den Kindern den bisherigen Tag. Die Ergebnisse tragen wir in einen Tagesbericht ein, den wir für die Eltern aushängen. Partizipation ist also doch möglich – lediglich die Situationen, in denen diese gelebt werden kann, haben sich geändert!

Wir holen die Welt zu uns
Ausflüge und Exkursionen finden momentan nicht statt. Zwar wäre es möglich etwas mit einer kleinen Gruppe in privaten Pkws zu unternehmen; das Ausflugsziel müsste draußen sein und ist darüber hinaus personell – wegen der kleinen Gruppen – gar nicht oder nur gelegentlich umsetzbar. Daher versuchen wir unseren Alltag so anschaulich, abwechslungsreich und spannend wie nur möglich zu gestalten. Wir sind im Ganzen betrachtet sehr viel draußen in unserem Garten. Um neue Spiele anzuregen, haben wir Holzbretter und Plastikrohre als Spielmaterial beschafft. Außerdem haben wir die Eltern um nicht mehr gebrauchte Küchenutensilien, wie Töpfe, Pfannen, Siebe, Trichter, Kochlöffel etc. gebeten. Es ist kaum zu glauben, aber das beliebteste Spielmaterial in unserem Garten sind momentan leere Blechdosen von Säuglingsnahrung! Die Spiele der Kinder sind mit den neuen “Spielsachen” sehr kreativ. Es bilden sich neue Spielgruppen, die sich aus gemeinsamen Interessen ergeben (draußen ist das gruppenübergreifende Spielen erlaubt). Gern gehen wir auch in den angrenzenden Wald, denn dort gibt es immer Neues für die Kinder zu entdecken: Viele Spielimpulse und jede Menge Möglichkeiten Sinneserfahrungen zu machen: Wir
– haben Fotos einer Buche und ihrer Früchte ausgestellt;
– haben einen Korb im Gruppenraum, in dem Kastanien, Eicheln, Bucheckern, Nüsse, aber auch Kartoffeln und Kürbisse als Anschauungsobjekte ausgestellt sind;
suchen mit den Kindern Rezepte zur Zubereitung von Kartoffeln und Kürbissen;
– haben gemeinsam Kartoffelchips gebacken;
– stellen in der kommenden Woche Marmelade aus Äpfeln und Feigen her;
– backen Brot und machen Butter selber
und haben noch viele andere Ideen, die wir mit den Kindern umsetzen werden. Die Angebote, die wir den Kindern anbieten sind vielfältiger geworden, weil wir das Bedürfnis haben, das auszugleichen, worauf die Kinder durch Corona verzichten müssen. Gleichzeitig signalisieren uns die Kinder immer wieder, wie groß ihr Drang nach Neuem ist.

Unterstützung durch Co-Pädagogen
In unserer Kita leben einige Tiere: drei Kaninchen, drei Axolotl, vier Achatschnecken und vier Hennen. Tagsüber ist ein Therapiehund im Büro und kann für die Arbeit als “Co-Pädagoge” herangezogen werden (ich werde in einigen Wochen genauer berichten, wie die tiergestützte Arbeit in unserer Einrichtung aussieht). In den letzten Wochen haben wir uns besonders viel mit den Tieren beschäftigt. Das lag zum einen an der Eingewöhnung der neuen Kinder, zum anderen aber auch daran, dass wir viel draußen waren und den Kindern Alternativen zum Fahrzeugfahren und dem Spiel im Sand bieten wollten. Für die Schnecken wird von den Kindern ein Ort im Garten ausgesucht (meist ein schattiges Stück Wiese, ein Blumenbeet oder eine Weidenhecke), an dem die Tiere sich wohlfühlen. Die Kinder füttern die Tiere dann mit großer Geduld und beobachten sie. Die Hühner laufen auf dem Außengelände zwischen den Kindern herum, werden gelockt, gestreichelt oder ebenfalls beobachtet. Die Kinder sammeln Eier ein und helfen bei der Versorgung der Hühner und Kaninchen. Wir achten mehr noch als vor der Schließung im März darauf, dass tiergestützte Angebote stattfinden, um eben trotz Einschränkungen so vielfältig und spannend wie möglich zu fördern.

Bedürfnisse der Kinder als Motivation
Die Anpassung an coronabedingte Veränderung und eine Weiterentwicklung unserer pädagogischen Arbeit ist längst nicht abgeschlossen. Mit der Entwicklung der kindlichen Bedürfnisse nach Förderung, Herausforderungen, Erfahrungen und Erleben, Mitgestaltung und Selbstständigkeit muss unsere Arbeit so umgebaut und weiterentwickelt werden, dass sich neue Möglichkeiten zur Erfüllung dieser auftun. Es wird sicherlich immer wieder Hindernisse geben, die uns davon abhalten direkt neue Wege zu finden, um die Bedürfnisse der Kinder zu erfüllen. Aber die letzten Monate haben uns gelehrt, dass wir auch spontan und unter schwierigen Gegebenheiten gute Pädagog*innen sein können. Entscheidend ist, dass wir bereit sind, Abläufe, Gewohnheiten, Sichtweisen und Haltungen zu hinterfragen, nach neuen Lösungen suchen und diese auszuprobieren. Hierüber werde ich weiter berichten. In den nächsten beiden Blogs wird der Schwerpunkt auf der Zusammenarbeit mit den Eltern und dann bei der Teamentwicklung liegen.

Links und weitere Informationen:
Fotos: Alexandra Knoch.
Hier finden sie die Kita am Wald in Castrop-Rauxel im Netz und die bisherigen Blogbeiträge von Alexandra Knoch:
1. Blogbeitrag vom 27.4.2020: Digital gut unterwegs!
2. Bogbeitrag vom 14.05.2020: Wie erreichen wir die U3-Kinder zuhause?Eine Bestandsaufnahme und Einschätzung zu unseren Angeboten und Aktivitäten
3. Blogbeitrag vom 13.6.2020: Elternarbeit während der Corona-Krise
4. Blogbeitrag vom 19.8.2020 Rückkehr in den Regelbetrieb unter den Bedingungen der Pandemie
5. Blogneitrag vom 25..8.2020 Hilfe im Alltag
6. Blogbeitrag vom 14.9.2020 Partizipation: Selbst- und Mitbestimmung – während Corona möglich?
Der Kontakt zur pragma gmbh ist 2015 über die Qualitätsentwicklung entstanden.