Wie werden unsere Kinder betreut? Wie geht es den Familien? Und wie ist das aktuell für die Kinder?

Gastbeitrag von Alexandra Knoch
Die Kita am Wald in Castrop-Rauxel wird derzeit von ungefähr 40% unserer angemeldeten Kinder besucht und spiegelt damit den Durchschnitt der Kitaauslastung laut Angabe der Landesregierung NRWs wieder (siehe Blogbeitrag vom 24.01.2020: „Lockdown bis zum 14.2. verlängert! - In vielen Kitas liegen die Nerven blank“ – Link zum Blog am Ende des Beitrags). Der Anspruch an Erzieher*innen, Kinder und Eltern ist durch die Einschränkungen des Lockdowns zur Zeit sehr hoch.

Ich habe versucht herauszufinden, wie die Lage derzeit in den Familien, mit denen wir arbeiten, tatsächlich ist. Dazu habe ich mit fünf Elternteilen (Müttern) gesprochen. Ich habe sie gefragt, wie sie ihre Kinder momentan betreut werden, wie groß die Belastung für sie ist, der Arbeit und Betreuung ihres Kindes gleichzeitig gerecht zu werden und welche Schwierigkeiten, aber auch welche Vorteile sie in ihrer gewählten Betreuungsform sehen.

Familie 1: Mutter 1 Teilzeit im Homeoffice, Vater 1 selbstständig, Büro im Haus, eine Tochter (3 Jahre) wird zu hause betreut
Mutter 1 betreut ihr Kind seit Beginn des Lockdowns zuhause. Sie ist im Homeoffice tätig, muss aber gelegentlich aus organisatorischen Gründen ins Büro fahren. Die Aufgaben im Homeoffice erledigt sie, wenn ihre Tochter abends schläft, dadurch würden die Tage natürlich häufig sehr lang. “Entweder man wird der Arbeit nicht gerecht, oder dem Kind nicht.”, sagt sie. Parallel am Computer arbeiten und gleichzeitig das Kind zu betreuen, funktioniert ihrer Meinung nach nicht. Zu Terminen im Büro müsse sie das Kind hin und wieder mitnehmen.
Seit einigen Wochen hat Mutter 1 ein Arrangement mit Mutter 2 getroffen. Am Donnerstag kommt Kind 2 vormittags zu ihnen und am Dienstag besucht ihre Tochter Kind 2. Die beiden gleichaltrigen Mädchen besuchen gemeinsam eine Gruppe in unserer Kita und sind miteinander befreundet. Die Familien haben miteinander vereinbart, dass sie andere soziale Kontakte zu Kindern aufgrund der Infektionslage während des Lockdowns meiden, um sich und ihre Familien vor einer Ansteckung mit Corona zu schützen. An den Tagen, an dem das Besuchskind da ist, spielen die Kinder untereinander oder zusammen mit der Mutter, essen gemeinsam oder backen einen Kuchen. “Die ersten Minuten sind immer ein bisschen schwierig, bis sie sich geeinigt haben, was sie jetzt spielen und machen wollen. Aber danach ist es einfach nur schön zu sehen, wie die beiden miteinander umgehen und das auch genießen, dass sie diese zwei Tage zusammen haben. In der derzeitigen Situation, in der wir Eltern alle mehrere Dinge gleichzeitig zu tun haben, ist das natürlich schon eine Entlastung. Ich kann das jedem nur wärmstens empfehlen”, meint Mutter 1.
Wenn ihre Tochter zu Besuch bei Kind 2 ist, nutzt Mutter 1 den Tag auf unterschiedliche Weise. Zum einen arbeitet sie zuhause oder fährt ins Büro. Zum anderen nimmt sie sich aber auch ganz bewusst eine Auszeit – um sich zu entspannen und etwas für sich zu tun. Dazu geht sie mit dem Familienhund spazieren und beschäftigt sich intensiv mit ihm. Sie genieße es auch sehr, “ganz allein für sich eine Runde joggen zu gehen”. Beides habe im Lockdown an anderen Tagen momentan keinen Platz. Mutter 1 macht sich jedoch Sorgen, weil sie die sozialen Interaktionen mit gleichaltrigen Spielpartnern in der Kita nicht ersetzen kann. Sie habe ein “richtig schlechtes Gewissen”, weil sie “dem Kind und seinen Bedürfnissen hinsichtlich seiner Entwicklung und dem Lernen mit und durch andere Kinder” nicht entsprechen kann. Gleichzeitig fällt es ihr aber auch schwer, ihren eigenen Ansprüchen im Beruf gerecht zu werden und das sei ein großer Stressfaktor für sie.

Familie 2: Mutter 2 in Elternzeit, Vater 2 verlängerte Betriebsferien, in Kurzarbeit, eine Tochter (3 Jahre), ein Sohn (7 Monate), beide werden zuhause betreut
Das dreijährige Kind der Familie geht seit Beginn des zweiten Lockdowns nicht mehr in die Kita. Mutter 2 und Vater 2 haben das Glück derzeit beide zuhause bei ihren Kindern sein zu können. Die Mutter ist noch bis Mitte des Jahres in Elternzeit. Der Vater, eigentlich in Kurzarbeit, konnte verlängerte Betriebsferien in Anspruch nehmen. Daher haben die Eltern gerade beide viel Zeit für die Betreuung der Kinder. Mutter 2 sagt: “Wenn ich ganz ehrlich bin: für uns persönlich und in unserer konkreten Situation, ist es eigentlich gerade wenig schwierig, weil es uns erlaubt ist, zu Coronazeiten ohne konkrete Aufgabe zuhause zu sein mit unseren beiden Kindern.” Zwar bekomme der Vater nach Ende der Betriebsferien nur Kurzarbeitergehalt, aber das lasse sich auffangen. Die Elternzeit könne sie momentan nicht dafür nutzen, sich ausschließlich und intensiv mit dem Baby zu befassen, da die dreijährige Tochter zuhause ist und natürlich ebenfalls Aufmerksamkeit einfordert. Das sehen die Eltern jedoch gar nicht als Nachteil: Dadurch hätten sie die Möglichkeit viel mehr Zeit als Familie miteinander zu verbringen. Natürlich ändert sich der Alltag durch den Wegfall einer verlässlichen Betreuung und Abläufe müssen neu organisiert werden. Mutter 2: “Ich hatte vor, wenn das Baby schläft – gerade als er noch kleiner war – den Haushalt zu machen. Das fällt natürlich weg, weil jetzt die Zeit, in der das Baby schläft, dann eher exklusive Zeit für das ältere Kind ist”.
Um ihrer Tochter trotz aller Vorsichtsmaßnahmen dennoch den Kontakt zu einem gleichaltrigen Kind zu ermöglichen, bringt sie sie einmal in der Woche zu ihrer Freundin Kind 1 oder lädt die Freundin zu sich nach Hause ein. Auch dort wird miteinander gespielt, mit dem Hund getobt oder sich im Garten beschäftigt. Genau wie Mutter 1 sieht sie in den gemeinsamen Besuchen eine Bereicherung für die beiden Mädchen. Durch die Stunden, die die Mädchen miteinander verbringen, können – zumindest ein kleines bisschen – die Bedürfnisse der Kinder nach gleichaltrigen sozialen Kontakten aufgefangen werden. Aber auch sie nutzt die Zeit, in der Kind 2 nicht zuhause sei, ganz bewusst: dann könne sie mit dem Baby kuscheln, mit ihm spielen und sich exklusiv ihm widmen. Ab und zu schaffe sie es dann auch, sich ein bisschen Zeit für sich selbst zu nehmen und zu entspannen.

Familie 3: Mutter 3, alleinerziehend, zwei Töchter (17 und 5 Jahre alt), ein Sohn (19 Jahre alt), Mutter im Corona – Kinderkrankenschein
Mutter 3 ist Erzieherin in unserer Kita. Da die Leitung Wert darauf legte, dass auch die bei uns in der Einrichtung beschäftigten Eltern ihren Anspruch auf zusätzliche zehn Kinderkrankentage wahrnehmen können, entschied sich Mutter 3 ihre jüngste Tochter im Rahmen des Kinderkrankenscheins zu betreuen. Sie fühlte sich unterstützt und motiviert durch den Appell der Leitung, den Corona – Kinderkrankenschein zu nutzen. Dadurch gäben sie ein gutes Vorbild für die anderen Eltern ab. Gleichzeitig wären aber auch weniger Angestellte in der Kita, was wiederum im Sinne des Infektionsschutzes sei. Es ist Mutter wichtig, ihre Kontakte zu reduzieren, um ihre Familie vor einer Ansteckung mit Corona schützen zu können. Anfangs beschäftigte sie sich gedanklich noch sehr häufig mit den finanziellen Einbußen, die der Kinderkrankenschein mit sich bringt. Als alleinerziehende Mutter von drei Kindern bestreitet sie mit ihrem Gehalt alle Ausgaben. Ihr wurde jedoch nach einigen Tagen bewusst, dass es in den vergangen Monaten einige Zulagen außer der Reihe gab (z.B. Corona – Kindergeld, Coronabonus für Erzieher*innen im Dezember). “Ich bin dann nach einigen Tagen Bedenkzeit darauf gekommen, dass ich das einfach als weitere geschenkte Elternzeit sehe. In der Elternzeit hat man natürlich auch finanzielle Einbußen. Aber in welchem Verhältnis steht diese finanzielle Einbuße zu der Zeit, die ich zuhause mit meinen Kindern verbringe?” fragt Mutter 3. Durch diese geschenkte Zeit habe die Familie noch einmal ganz neu zueinander gefunden. Da alle drei Kinder (ein Kitakind, zwei schulpflichtige Kinder) momentan zuhause seien, gäbe es neue Strukturen im Alltag, die die Familie einander noch näher bringe. Sie erzählt: “Wir treffen uns zum Beispiel jeden Morgen um 10 Uhr zum Frühstück. Es sei denn, eins der älteren Kinder hat gerade Online-Unterricht. Das ist nochmal so ein familiäres Zusammenkommen, das vorher so nie stattgefunden hat. Wir haben dadurch nochmal viel mehr voneinander erfahren und ich bin sehr dankbar, dass es so etwas gibt.” Die Vorteile des Konzeptes Corona-Kinderkrankenschein haben Mutter 3 überzeugt.Trotz der Angst vor einer Ansteckung mit Corona verbietet sie sich und ihren Kindern soziale Kontakte nicht gänzlich. Sie habe eine Freundin, mit der sie sich treffe, und auch ihre jüngste Tochter habe feste soziale Kontakte, die sie regelmäßig treffen könne. Mutter 3 bemerkt, dass ihre Ansprüche an sich als Mutter zuhause sehr hoch seien. Sie möchte sich Zeit für jedes einzelne ihrer Kinder nehmen, geduldig sein und ihnen zuhören. Zeit für sich habe sie, wenn ihre jüngste Tochter bei ihrem Vater sei. “Zeit für mich heißt, einfach mal auf der Couch sitzen zu können und fernzusehen. Das ist für mich Luxus.”

Familie 4: Mutter 4 arbeitet außer Haus, Vater 4 ist selbstständig und außer Haus, Tochter (3 Jahre) in der Betreuung in der Kita mit herabgesetztem Stundenumfang
Mutter 4 arbeitet in einem Büro in einer Nachbarstadt, ihr Mann ist selbstständig. Durch die Stundenreduzierung durch den eingeschränkten Pandemiebetrieb musste sie sich mit einer anderen Mutter arrangieren, damit beide Kinder immer pünktlich abgeholt werden können. Schon bei normalem Kitabetrieb sei es stressig, alles zur rechten Zeit zu schaffen. “Mir bleibt keine Zeit für Stau oder sonst irgendwelche Besonderheiten”, so Mutter 4, “und unter Corona ist das natürlich nicht besser – eher schlechter. Zeit für einen Moment der Ruhe und Gelassenheit habe ich unter der Woche nicht.” Die Anforderungen und der Druck durch den Arbeitgeber seien gleich und hoch. Aber auch die Ansprüche an sich selbst und die Ergebnisse an ihrer Arbeit sind gleich geblieben. Im Homeoffice sei es für sie nicht möglich, sich zu konzentrieren und effektiv und fehlerfrei zu arbeiten und das könne sie sich in Auswertungen und in Personalangelegenheiten einfach nicht erlauben. Die Möglichkeit im Homeoffice zu arbeiten gibt es für sie nur selten, da es ihre Position erfordert, vor Ort im Betrieb zu arbeiten. Gespräche am Telefon oder auch Telefonkonferenzen mit Geschäftspartnern könne sie nicht sachlich und zielorientiert führen, wenn ihre Tochter dabei wäre. Es stelle sich keine konsequente Sachlichkeit ein, wenn der private Rahmen – durch die Ablenkung durch das Kind – ständig präsent wäre. “Wenn die Kita weniger Betreuungszeiten anbietet, dann muss ich eben die Doppelbelastung auch entsprechend viel, viel länger aushalten. Und da ist es dann manchmal auch schwierig, die Nerven zu behalten. Aber man möchte ja dem Kind gerecht werden, man möchte ein gutes Vorbild sein und immer gelassen und freundlich sein. Du wirst deiner Arbeit nicht gerecht, deinem Kind nicht gerecht und deinem Anspruch an die Erziehung und Förderung deines Kindes nicht. Und das fühlt sich nicht richtig an”, meint sie. Zeit für sich selbst sei sehr, sehr selten und Luxus. Sie entspanne sich bei Spaziergängen mit ihren Hunden in der Natur oder beim Joggen. Aber sie sagt: “Das ist aber nichts Regelmäßiges, bei dem man neue Energie tanken kann.”. Es sei für Mütter leider keine Selbstverständlichkeit, sich zu erholen und ein bisschen Ruhe zu haben. Das brauche man aber, um Kraft zu tanken, um den Alltag weiter bewältigen zu können.

Familie 5: Mutter 5 und Vater 5 beide Homeoffice, Sohn (5 Jahre alt) wird zuhause betreut
Mutter und Vater 5 haben beide die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten. Das erlaubt es ihnen “den Appell der Landesregierung, Kinder wenn möglich zuhause zu betreuen, ernst zu nehmen und umzusetzen”, so die Mutter. Natürlich sei das nicht immer unproblematisch. Kinder bewegen sich, laufen während Onlinemeetings mal ins Bild oder haben eine Frage… “Aber viele Kolleg*innen haben Verständnis, dass auch mal ein Kind ins Telefon quatscht”, erklärt Mutter 5. Ihr Kind ist mit fünf Jahren bereits ein Vorschulkind. Er könne sich schon sehr gut allein beschäftigen. Das genieße das Kind, da es sich ungestört in Spiele vertiefen könne. Er mache insgesamt einen viel ruhigeren und ausgeglicheneren Eindruck, als wenn er nach einem anstrengenden Kitatag nach Hause kommt, wo er allein schon durch den hohen Geräuschpegel schnell gestresst reagiere. Er sei auch wesentlich seltener krank in diesem Winter. In der Vergangenheit hatte Kind 5 bereits mit einer schweren Lungenentzündung zu kämpfen, während er in diesem Jahr nur sehr selten einen Infekt hatte. Eine Hauterkrankung an den Händen, die das Kind in der Kita dazu zwangen, draußen zu jeder Jahreszeit Handschuhe über eingecremten Händen zu tragen, sei seit dem ersten Lockdown gänzlich verschwunden. Unterstützung erhält Familie 5 durch den Großvater des Jungen: über Facetime beschäftigen sich Opa und Kind 5 “in zwei Schichten” täglich miteinander, sodass die Eltern ungestört arbeiten könnten.  Insgesamt sieht Mutter 5 es positiv, dass sie “durch den Lockdown entschleunigen und viel Zeit gemeinsam in der Familie verbringen können”.
Ein Punkt bereitet ihr dennoch Sorgen: der fehlende Kontakt zu anderen Kindern. Besonders in Hinblick auf die Einschulung im kommenden Sommer, hat die Mutter die Befürchtung, dass ihrem Sohn soziale Kontakte in der Entwicklung fehlen könnten. Inhaltlich könne sie ihn fördern (Zahlenverständnis, Buchstaben kennenlernen etc.), “aber das hilft ja alles nichts im sozialen Bereich”, bedauert sie. Mutter 5 hat sich vorgenommen, sich eine Art “Deadline” zu setzen, an dem das Kind wieder zur Kita gehen wird. Momentan ginge es noch alles ganz gut, indem sie von Woche zu Woche schaue, ob sie Betreuung für Kind 5 benötigen. “Aber”, räumt sie ein, “er kann ja nicht bis zum Schulstart zuhause bleiben”. Gestresst fühle sie sich im Moment nicht besonders. Mutter 5: ”Natürlich läge ich lieber mit einem Buch am Strand. Aber stressig und anstrengend ist es eigentlich nicht. Wir sind da gut eingespielt. Wir achten aber auch darauf, dass wir als Eltern nicht zu kurz kommen. Wir machen zum Beispiel beide weiter unseren Sport.”

Hohe Belastung der Eltern
Ich bin dankbar für die offenen und sehr ehrlichen Worte der befragten Eltern, mit denen sie ihren Alltag in der derzeitigen Situation beschreiben. Alle Mütter mit denen ich gesprochen habe, haben unterschiedliche Sorgen und Faktoren, die sie belasten und von ihnen fordern, schnellstmöglich neue Strukturen für einen funktionierenden Alltag zu schaffen. Die Auseinandersetzung mit diesen verschiedenen Betreuungsformen hat meinen Blick auf die Situation der Eltern noch einmal verschärft. Mit diesem Blick darauf, kann ich die Not und Überforderung der Eltern besser verstehen und ich hoffe, dass wir sie mit unserer Arbeit -sei es durch eine gute Betreuung in der Kita oder durch Angebote für zuhause – ein kleines Stück unterstützen können. Wie unsere Arbeit zur Zeit genau aussieht, darüber berichte ich in meinem nächsten Beitrag.

Links und weitere Informationen:
Fotos: Alexandra Knoch. Hier finden sie die Kita am Wald in Castrop-Rauxel im Netz, den in der Einleitung angesprochenen Blog vom 24.01.2021 und eine Übersicht über alle Blogbeiträge zur Kita am Wald.