Wie bewältigen die Vorschulkinder die Coronakrise? Ab heute dürfen sie in NRW alle wieder in Kita!

3. Blogbeitrag der Kita am Wald (Castrop-Rauxel)
Am 14.05.2020 konnten Sie in meinem Blogbeitrag lesen, inwiefern es für uns möglich war den Kontakt zu den U3-Kindern zu halten, welche Möglichkeiten wir nutzten, um die Kinder dieser Altersgruppe zu fördern und inwiefern wir Eltern durch Beschäftigungsangebote unterstützen konnten. In diesem Beitrag soll es um die derzeitige Arbeit mit den Vorschülern gehen. Grundlage ist unter anderem eine Befragung der Eltern, in der ich sie gebeten habe darüber nachzudenken nd uns Feedback und Einblicke, wie sie ihre Kinder während der Coronazeit wahrnehmen, welche Angebote von uns sie nutzen, wie sie diese bewerten und welche Schwierigkeiten im familiären Umfeld durch die Schließung der Kita auftreten.

Befragung der Eltern
Die Ergebnisse der Befragung haben wir im Team besprochen. Uns ist wichtig, die aktuelle Situation jedes Kindes und seiner Familie zu erfassen, um diese da abholen zu können, wo sie gerade stehen, um unsere Angebote anpassen und weiterentwickeln zu können und uns bestmöglich auf die nächsten Wochen, die wir dann ab dem 28.05.2020 – mit der Aufhebung des Betretungsverbotes der Kitas und der Einführung des eingeschränkten Regelbetriebes in NRW –wieder gemeinsam mit allen Vorschulkindern in der Kita verbringen werden, vorzubereiten.

Unser Vorschulis
In der Kita am Wald betreuen wir in diesem Kindergartenjahr 12 Vorschulkinder, jeweils sechs in beiden altersgemischten Gruppen. Bis Anfang Mai nutzten die Eltern der Vorschulkinder die Notbetreuung der Kita selbst dann nicht, wenn ein Anspruch durch Arbeit im systemrelevanten Bereich, den Erhalt von BuT (Bildung und Teilhabe, Grundsicherung) oder des Status alleinerziehendes Elternteil bestand. Erst auf Nachfrage der Kitaleitung brachten zwei Familien ihr Kind für einige Stunden in die Betreuung. Ab dem 28.05.2020 kommen weitere sieben Vorschulkinder wieder in die Betreuung. Drei Familien haben sich entschieden ihre ab Sommer 2020 schulpflichtigen Kinder weiterhin zuhause zu behalten.

Die Kleinen und die Großen
Während sich bei der Befragung der Eltern unserer U3-Kinder herausstellte, dass die Kinder mit der Schließung eher gelassen umgehen, sie sich zwar gerne an den angebotenen Stuhlkreisen, Lese- oder Bastelrunden über das Internet beteiligen, ansonsten aber zufrieden im (ausschließlich) familiären Umfeld wahrgenommen werden konnten, gaben die Eltern der Vorschulkinder an, dass ihre Kinder gestresst, unzufrieden und besorgt wirkten und nur vereinzelt Interesse an einigen Angeboten zeigten.

Rückblick: Einstieg in die Krise
Schon in den letzten Tagen vor der Schließung bemerkten die Vorschulkinder, dass es zu Umstellungen im Kitaalltag kam. Wir führten erweiterte Hygieneregeln ein, die wir gemeinsam mit den Kindern ständig wiederholten und in den Stuhlkreisen immer wieder thematisierten. Kinder mit leichten Erkältungssymptomen wurden nachhause geschickt, einige Eltern behielten ihre Kinder bereits zuhause. Freitag, der 13.03.2020, war der Tag, an dem NRW Ministerpräsident Laschet die Schließung aller Kitas und Schulen bis mindestens nach den Osterferien anordnete. Dieser Tag war für die Eltern, Erzieher und Kinder geprägt von Stress und Unsicherheit. Die Erzieher wechselten sich während des laufenden Betreuungsbetriebes ab, ihre Unterlagen für mehrere Wochen Homeoffice einzupacken, die Kleidung aus den Wechselkisten der Kinder für die Eltern zur Mitnahme vorzubereiten und die Tiere in unserer Einrichtung zu versorgen bzw. für einen Aufenthalt bei einer Mitarbeiterin oder einer Familie vorzubereiten. Sowohl Eltern als auch Erzieher wirkten ängstlich und unsicher, was den Umgang mit der Pandemie in den kommenden Wochen betraf. So entließen wir die Kinder auf unbestimmte Zeit aus der Kita, ohne das Thema „Corona“ und die Schließung mit ihnen besprochen zu haben.

Kontakt zu den Kindern und Eltern zuhause
Noch am Abend erstellte eine Erzieherin eine WhatsApp-Gruppe, in der die Geschichten von „Der kleine Vampir“ vorgelesen werden sollten. Diese Geschichten hatten insbesondere die Vorschulkinder in den zwei vorangegangenen Wochen beschäftigt. Die Kinder hatten ein eigenes Projekt entwickelt, in dem sie malten und bastelten, sich als Vampire schminken lassen wollten, sich Vampirumhänge hergestellt hatten und in intensive Rollenspiele eingebunden waren. Die WhatsApp Lesegruppe sollte ein erster Schritt sein, um über die Distanz bei den Kindern und ihrem Projekt zu bleiben. Im nächsten Schritt entwickelte unser Team den Blog für die Kinder und Eltern, um die Eltern zu unterstützen, die Kinder zu beschäftigen und abzulenken, aber auch um den Familien trotz der beängstigenden gesellschaftlichen Situation das Gefühl zu geben, dass wir für sie und ihre Kinder da sein würden. Im letzten Schritt organisierten wir Stuhlkreise für die Kinder. Dieses zunächst noch altersgemischten Angebote über Zoom wurden gut von den Familien angenommen. Die älteren Kinder begannen sich jedoch bereits nach einigen Zoommeetings zu langweilen, da sie – verständlicherweise – kein Interesse hatten, einfachste Kreisspiele in jedem Treffen zu wiederholen und auch der Austausch mit den gleichaltrigen Kindern der Gruppe konnte nicht so stattfinden, wie sie sich das wünschten. Als Reaktion auf die Rückmeldung einiger Eltern teilten wir den Stuhlkreis in Altersgruppen ein. Das bot die Möglichkeit, die Kinder je nach Entwicklungsstand wahrzunehmen und zu fördern, hatte aber auch den Nachteil, dass jedes Kind nur an einem Meeting pro Woche teilnehmen konnte.

Auf die Vorschulkinder zugeschnitten
Zwei Kolleginnen, die auch im normalen Alltag viel Vorschularbeit leisten und die wöchentlich stattfindenden Altersgruppentreffs leiten, boten an, die Stuhlkreise mit den Vorschulkindern zu organisieren und abzuhalten. Für die kommenden Treffs verschickten die Erzieherinnen selbstgestaltete Einladungen an die Kinder, die Rätsel beinhalteten, die das sprachliche und mathematische Verständnis, das phonologische Bewusstsein und erste Schritte zum Schriftspracherwerb förderten. Die Stuhlkreise selbst beinhalten kindgerechte und gemeinsam durchgeführte naturwissenschaftliche Experimente. Die Vorschulkinder zeigten sehr großen Ehrgeiz, die Rätsel in den Einladungen zu lösen und großes Interesse an den Experimenten und somit auch an den von den Erzieherinnen sehr gut vorbereiteten Stuhlkreisen.

Das letzte halbe Jahr in der Kita – Enttäuschungen
Während des letzten Halbjahres vor der Einschulung sind normalerweise viele Ausflüge und Aktionen mit den Kindern geplant, die in diesem Jahr wegen der Verbreitung von Covid-19 nicht stattfinden können. Dazu zählen Ausflüge ins Schulmuseum, zur Polizei, zur Feuerwehr, zum Flughafen, ein Abschiedsausflug, Schwimmunterricht, in dem viele Vorschulkinder noch vor der Einschulung ihr erstes Schwimmabzeichen erlangen, das „Tornisterfrühstück“, bei dem die Vorschüler ihre neuen Tornister vorstellen, die letzte Übernachtung in der Kita, die letzte Freizeit auf dem Bauernhof etc. Seit ihrem Eintritt in den Kindergarten erlebten sie diese besonderen Ereignisse der jeweiligen Vorschüler mit und freuten sich auf ihr eigenes Abschlussjahr. So ist dieses Halbjahr für die diesjährigen Vorschulkinder auch eine Zeit voller Enttäuschungen, wie sie sie bisher nicht kannten. Auf Wunsch zweier Kinder organisierten wir zwar in Kürze eine Übernachtungsparty via Zoom, die den Kindern auch sehr viel Freude machte und viele Elemente einer richtigen Übernachtungsparty enthielt (Rätsel, Schatzsuche, Tanzen, Gute-Nacht-Geschichte etc.), aber dadurch wurde uns auch noch einmal deutlich, auf wie viele schöne gemeinsame Erlebnisse diese Kinder verzichten müssen. Selbst wenn wir Erzieher uns nach Kräften bemühen, diese Ereignisse zu ersetzen, gelingt uns dies nicht, wenn wir nicht im persönlichen Kontakt zu den Kindern stehen und uns nur eingeschränkt bewegen dürfen.

Verunsicherungen
Das ist aber bei Weitem nicht die einzige Schwierigkeit für die Vorschulkinder 2020. Mit dem Lockdown musste das Sozialleben von jetzt auf gleich auf ein Minimum reduziert werden, sodass die Kinder keine Möglichkeit mehr zu direkten sozialen Kontakten zu anderen Kindern, ihren Freunden, Familienmitgliedern außerhalb ihrer Kernfamilie und ihren Erziehern hatten. Gleichzeitig befinden sie sich in einer neuen aufregenden Lebens- und Entwicklungsphase: dem Übergang von der Kita zur Grundschule. Diese Phase ist für die Kinder zwar spannend und die Einschulung stellt für die Vorschüler ein freudiges Ereignis dar, bietet auf der anderen Seite aber auch viel Raum für Unsicherheiten, Stress und Überforderung, wenn der Übergang nicht behutsam genug von Eltern und Erziehern begleitet wird. Die Kinder befinden sich dementsprechend gerade in einer doppelt belastenden Situation. Die Eltern unserer Vorschulkinder bemerken, dass ihre Kinder sehr reizbar und sensibel, z.T. auch wütend und aggressiv sind. Die Kinder bekommen zwar vieles mit (Corona, Schließung, Änderungen in der Betreuung etc.), begreifen aber noch nicht, was das für ihren bekannten Alltag bedeutet, können das nicht richtig einordnen. So gab eine Mutter an, ihr Sohn habe mitbekommen, „dass in der Kita jetzt alles anders“ sei und wollte nicht wieder in die Vorschulbetreuung ab dem 28.05.2020 in die Kita kommen. Er habe Sorge, dass das bedeutete, „dass dort fremde Kinder und fremde Erzieher“ seien. Um den Kindern vor dem Start der Notbetreuung ihre dringendste Fragen beantworten zu können und um ihnen die Zuversicht zu geben, dass wir Erzieher nach wie vor für sie da sein und uns um sie kümmern werden, wird es einen digitalen Stuhlkreis geben, in dem Kinder gemeinsam mit den Erziehern den Wiedereistieg in die Betreuung besprechen können. Zusammen soll überlegt werden, worauf wir uns freuen, was wir gern machen und unternehmen möchten und wie wir die kommenden Wochen bis zu den Sommerferien verbringen wollen. Dieses Meeting soll ihnen ihre Ängste nehmen und sie schon im Vorfeld auf die Situation vorbereiten, die sie in der Kita erwartet. Gleichzeitig sollen sie sich ernst genommen und gut aufgehoben fühlen, wenn der Alltag auch noch nicht so sein wird, wie sie ihn vor der Krise kannten.

Zu früh für ein Fazit
Es ist zum jetzigen Zeitpunkt noch zu früh, ein Fazit aus den letzten Wochen zu ziehen. Es bleibt abzuwarten, wie es sich gestaltet, wenn die Kinder zurück in die Kita kommen können. Wir können sagen, dass wir uns sehr bemüht haben, die Kinder aufzufangen und mit ihnen zuhause den Kontakt zu halten; aber es konnte uns natürlich nicht gelingen all das zu ersetzen, auf das sie verzichten mussten und genauso wenig konnten wir es schaffen, ihnen ihre Ängste zu nehmen und ihnen Perspektiven aufzuzeigen, da der persönliche Kontakt für derartig wichtige Interaktionen einfach unumgänglich ist. Die Fragen, die ich mir zum jetzigen Zeitpunkt stelle sind: Inwiefern können die Kinder sich (wieder) auf den Kitaalltag und die Beziehungen in der Kita einlassen? Wird es uns gelingen, den Übergang zur Grundschule so behutsam und schön zu gestalten, wie die Kinder es brauchen? Werden die nächsten Wochen reibungslos verlaufen oder wird es zu erneuten Einschränkungen kommen? Diese Fragen werden wir jedoch leider erst in den kommenden Wochen beantworten können.

Im ersten Blog vom 27.4.: „Digital gut unterwegs“  über die Arbeit der dreigruppingen Kita am Wald in Castrop-Rauxel mit 55 Kindern gibt Alexandra Knoch einen Überblick, wie die Fachkräfte die digitalen Möglichkeiten genutzt haben, den Kontakt mit den Kindern zuhause zu organisieren und zu halten. Ihr zweiter Blog vom 14.5.: Wie erreichen wir die U3-Kinder zuhause? – nimmt eine Bewertung der digitalen Angebote für die U3-Kinder  zuhause vor.