Mathe mit den Fingern: Das Zehn-Finger-System

Junge Kinder brauchen Fingerspiele zum Mathe-Lernen
Ganze Generationen von Grundschullehrer/innen haben es ganzen Generationen von Kindern verboten – heute weiß man es besser: Die aktuelle Mathe-Didaktik unterstreicht, wie wichtig und nützlich es ist, dass Kinder mit ihren Fingern zählen und rechnen lernen.

Der Grund ist: Wir haben ZEHN Finger, und unser Zahlensystem ist ein Dezimalsystem, was bedeutet, dass es auf der ZEHN fußt. Diese Übereinstimmung ist kein Zufall. Und sie hilft ungemein bei der Entwicklung einer soliden Zahlvorstellung.
Auf’s Neue bestätigt hat dies ein amerikanischer Forschungsbericht von 2016: Jo Boaler (Universität Stanford) hat neurowissenschaftliche Studien und mathematikdidaktische Erkenntnisse ausgewertet und hat nachweisen können, wie wichtig unsere Finger sind, um Mathe zu verstehen. „Unsere Finger sind wahrscheinlich unsere beste visuelle Hilfe und entscheidend, um Mathematik zu verstehen und unser Gehirn weiter zu entwickeln, und zwar bis ins Erwachsenenalter,“ heißt es in ihrem Bericht.
Unsere Finger taugen ja nicht nur zum Abzählen von Eins bis Zehn; sie können auch „hand-greiflich“ verdeutlichen, dass man Zahlen zerlegen kann: in kleinere Zahlen. Und das auf verschiedene Weise. Eine Erkenntnis, die später in der Schule beim Lösen von Aufgaben sehr nützlich sein kann. Zum Beispiel die Acht:
                                    
Vor allem machen unsere Finger auch erlebbar, wie man Mengen in praktische „Portionen“ strukturieren kann:
Beide Hände, alle Finger: Das ist die Grundlage unseres Dezimalsystems:

                                            

          Beide Hände, alle Finger: Das ist auch zweimal die Fünf! Das verinnerlichte Bild unserer zwei Hände mit je fünf Fingern ermöglicht es, beispielsweise Additionen (später im Kopf) sehr zu erleichtern: indem man die Fünfer, die in den Zahlen stecken, schnell erkennt und sich dann nur noch um die kleinen Reste kümmern muss… Hier ist eine Beispielaufgabe:

          7 + 8

                       
       Lösung:                             zwei Fünfer:            Der Rest ist auf einen Blick zu sehen:

                                                 das sind 10              2 + 3. Zur 10 dazuzählen…

  

All diese Erkenntnisse werden derzeit in der Grundschul-Didaktik genutzt.- Was aber bedeuten sie für die Unterstützung der Entwicklung mathematischen Denkens in der Kita?
… Nein: Kita-Kinder sollen NICHT Rechenaufgaben mit ihren Fingern lösen. Nur, wenn es darum geht, eine Frage zu beantworten, die sie aktuell haben – etwa: Wie viele Teller muss ich für diesen Frühstückstisch holen, wenn ein Stuhl unbesetzt bleibt? Ziel in der Kita ist aber nicht abstraktes Rechnenkönnen, sondern die Kinder sollten ein gutes, sicheres inneres Bild ihrer zehn Finger entwickeln. Dies internalisierte Bild kann ihnen dann später nützlich sein als „Repräsentanz“ in ihrem Kopf für Zahlen, Mengen und deren Zusammenhänge. Will sagen: Je deutlicher das innere Bild ist, desto weniger braucht man später noch die echten Finger als Hilfe zu bemühen.
– Also: Die Kinder sollen ihre Finger kennenlernen, mit ihnen spielen, sie in ihr KÖRPERSCHEMA einbauen (Körperschema heißt: Ich habe eine innere Vorstellung von meinem Körper. Oben ist der Kopf, unten die Füße…) Wie? – Na, mit Fingerspielen.
Fingerspiele waren in Kitas eine Weile lang fast so verpönt wie Fingerrechnen in der Schule: „Alte-Tanten-Pädagogik“.Jetzt weiß man das intuitive Wissen der „alten Ammen“ wieder zu schätzen: weil Fingerspiele die kindliche Entwicklung unterstützen.
Es gibt viele schöne, alte und neue Fingerspiele. Manche üben auch ganz vordergründig das Zählen und die Mengenvorstellung bis 5 oder bis 10; andere sind einfach ein Spaß, der hilft, die zehn Finger in das innere Körperbild einzufügen. Hier sind ein paar Lieblingsbeispiele:

Das ist der Daumen  (nacheinander die genannten Finger antippen / wackeln)
     Das ist der Daumen.                                            
     Der schüttelt die Pflaumen.
     Der hebt sie auf.
     Der trägt sie nach Haus.
     Und der Kleine da, der isst sie alle auf!
 

Das Stachelschwein

Ich bin ein kleines Stachelschwein     (Mit den Fingern der rechten offenen Hand                                                                               wackeln)

und ziehe meine Stacheln ein:

Eins, zwei, drei, vier, fünf.                      (mit dem Daumen beginnend die Finger                                                                                     nacheinander einziehen)

Dann strecke ich sie wieder aus:

Eins, zwei, drei, vier, fünf –                    (mit dem Daumen beginnend die Finger                                                                                    nacheinander wieder ausstrecken)

und laufe schnell nach Haus.               (rechte Hand hinter dem Rücken verschwinden                                                                        lassen)

 

Zehn kleine Zappelmänner (das jeweils Genannte mit 10 zappelnden Fingern nachspielen)
                                                                           Zehn kleine Zappelmänner zappeln hin und her,              
zehn kleinen Zappelmännern fällt das gar nicht schwer.

Zehn kleine Zappelmänner zappeln auf und nieder,
zehn kleine Zappelmänner tun das immer wieder.

Zehn kleine Zappelmänner zappeln ringsherum, 
zehn kleine Zappelmänner fallen plötzlich um.

Zehn kleine Zappelmänner kriechen ins Versteck,
zehn kleine Zappelmänner sind auf einmal weg.

Zehn kleine Zappelmänner sind nun wieder da,
                                                                                                                                                      zehn kleine Zappelmänner rufen laut: „Hurra!“

Das kleine Auto (Eine Hand hochhalten, nacheinander mit Daumen, Zeigefinger, Mittelfinger, Ringfinger und kleinem Finger wackeln; zum Schluss eine Faust bilden und sie wieder öffnen)
Ein kleines Auto hält vor unserem Haus.
„Ich fahre mit!“, ruft der dicke Pit.
„Ich steige auch ein!“, ruft der dünne Hein.
„Macht Platz!“, ruft der lange Max.
Und dann noch die Trude,die will nach Buxtehude.
„Die Türen zu!“, ruft Klaus.
„Sonst fallen wir alle wieder raus!“

Bestimmt kennen Sie auch noch ein paar schöne, lustige Fingerspiele? Ich kann Sie nur ermuntern, sie mal wieder hervorzukramen und mit den Kindern zu spielen; sie lassen sich an vielen Stellen in den Alltag einbauen.
Das frühere Finger-Tabu beruhte, denke ich, auf einem Denkfehler: Es ist in der Tat schlecht, wenn ältere SCHULkinder AUF DAUER zählend rechnen – womöglich unter Zuhilfenahme der Finger. Denn das bedeutet, dass ihre innere Vorstellung von Zahlen und Mengen (noch) nicht wirklich stabil ist. Ein „Fingerverbot“ hilft da indes wenig, sondern dann braucht es Maßnahmen, diese innere Vorstellung zu entwickeln: aus körperlichen Erfahrungen, mit denen Zahlen und Mengen visualisiert werden können. Zum Beispiel mit gezieltem Einsatz der Finger, die helfen können, die Struktur unseres Zahlensystems zu verstehen und flexibel damit umzugehen.
… Übrigens: Fingerspiele fördern auch die Sprachentwicklung! – Aber das ist ein anderes Thema…

Gabriele Dahle

Zum Nachlesen:
Hier finden Sie Informationen zur genannten Studie von Jo Boaler: www.spiegel.de/schulspiegel/stanford-professor-lobt-das-rechnen-mit-den-fingern-a-1089063.html
Weitere Publikationen zu Fingerspielen:
Barbara Perras:  In: Gabriele Dahle (Hersg.): Mathematik & Naturwissenschaften im Kindergarten, Heft 17, 5/2008. Erhältlich nur noch online über edidact: https://www.edidact.de/contentBase/edidact/vorschau/1-04-12-17-11.2.pdf
Berthold Eckstein: Mit 10 Fingern zum Zahlverständnis.Göttingen 2011. Das Buch ist in erster Linie für Lehrer/innen geschrieben; der Autor ist Förderschullehrer und Lerntherapeut.
Ideen für Fingerspiele finden Sie auf vielen Websites; googeln lohnt sich. Meine Quelle für „Das kleine Auto“ war: www.familie.de/kind/ die-schoensten-fingerspiele-511398.html