Ausweitung der Kinderbetreuung – weitere Vorschläge am 6. Mai

Einige Erfahrungen vor Ort, Hintergründe, Konfliktpotenziale und Lösungsansätze
Die Konferenz der Ministerpräsidenten unter Beteiligung der Bundeskanzlerin hat am 30.4. aus guten Gründen noch keine weitergehenden Beschlüsse zur Ausweitung der Kinderbetreuung getroffen. Man will, und dem ist zuzustimmen, die Entwicklung der Infektionsraten in den nächsten Tagen abwarten. Die Verabredung ist das Thema am kommenden Mittwoch (6.5.) wieder aufzugreifen. Zu dem Termin sollen unter anderem auch Vorschläge zur Ausweitung des Schulbetriebs und der Aktivitäten der Sportvereine vorliegen. Ganz unabhängig davon, ob zeitnah weitere Schritte zur Ausweitung der Kinderbetreuung beschlossen oder diese noch einmal verschoben werden, ist es sinnvoll, sich vorausschauend mit den einzelnen Schritten in Richtung Normalisierung zu beschäftigen, um frühzeitig mögliche Schwierigkeiten, Engpässe und Konfliktpotenziale zu identifizieren, die nötigen Abstimmungsprozesse der verschiedenen Interessengruppen zu organisieren und rechtzeitig erforderliche, geeignete, zusätzliche Unterstützungsmaßnahmen auf den Weg zu bringen.

Hierzu im Folgenden einige Überlegungen:

Vier Phasen der Rückkehr zur Normalität
Die Jugend- und Familienminister haben sich auf vier Phasen zur Rückkehr zum vollständigen Regelbetrieb verständigt: „Die Jugend- und Familienminister sind sich einig, dass die gegenwärtigen Beschränkungen einen schweren Einschnitt für die Kinder darstellen. Sie haben daher beschlossen, dass die Kindertageseinrichtungen und die Kindertagespflege in den Ländern behutsam und stufenweise und unter Berücksichtigung der jeweiligen Situation vor Ort in den folgenden vier Phasen wieder geöffnet werden sollen: von der aktuell bestehenden Notbetreuung (1), über eine erweiterte Notbetreuung (2), einen eingeschränkten Regelbetrieb (3) bis zurück zum vollständigen Regelbetrieb (4)“ (aus: NEWSLETTER bildungsklick). Damit ist ein Rahmen gesetzt. Wir befinden uns aktuell in der Phase 2. Die Notbetreuung wurde erweitert für weitere Eltern in sogenannten kritischen Berufen, Alleinerziehende und gefährdete Kinder.  Der Einstieg  in Phase 3 könnte am kommenden Mittwoch (6.5.) beschlossen werden. Es gibt aber bisher keinerlei, zumindest keine der Öffentlichkeit bzw. für die Kita-Träger zugänglichen Informationen dazu, welche Elternzielgruppen als nächste von der Ausweitung profitieren, wie viele der 3,7 Millionen Kita-Kinder zurückkehren, wie die Phase 3 in kleinere Etappen unterteilt wird, wie lange diese dauern bzw. wann sie abgeschlossen sein könnten usw.

Ausweitung der Betreuung – Wer ist als nächstes dran?
Dass Eltern ein Interesse haben, die Dienstleistung Kita wieder in Anspruch zu nehmen, ist gleichermaßen legitim und verständlich. Der allergrößte Teil der Familien hat die weitgehende Schließung der Kitas seit Mitte März akzeptiert und sich, so gut ihnen das möglich war, 24h um die eigenen Kinder gekümmert. Wenn nun die Betreuung Stück-für-Stück ausgeweitet wird, bedarf es zum einen klarer und nachvollziehbarer Vorgaben der zuständigen Landesbehörden. Diese sind eine wesentliche Voraussetzung für deren breite Akzeptanz und die lokale Umsetzung. Zum anderen bedarf es meiner Meinung der direkten Kommunikation und Abstimmung der beteiligten Interessengruppen. Was ich damit meine, lässt sich mit einem Blick in die Gemeinde Hinte in Niedersachsen gut nachvollziehen:

Teamleitung Kitas in der Gemeinde Hinte
Von Sylvia Eertmoed, Teamleitung Kitas in der Gemeinde Hinte, erreichtem mich folgende Zeilen: „Das Land Niedersachsen hat die Kommunen seit dem 16.03.2020 – und in den darauf folgenden Wochen immer wieder aktualisierend – angewiesen, dass die Inanspruchnahme von der Notbetreuung der Kinder in unseren Einrichtungen ausschließlich für Eltern angeboten werden, die im Bereich der Berufsgruppe der kritischen Infrastruktur beschäftigt, bzw. in einem Berufszweig von allgemeinem öffentlichen Interesse tätig sind oder unter eine Härtefallregelung fallen. Die Schwierigkeit der Kindertagesstättenleitungen liegt vor Ort darin, festzustellen, welche Eltern einen Anspruch auf einen Notbetreuungsplatz haben oder auch nicht. Es erreichten mich fast täglich die Rückfragen der Leitungen oder aber auch die, der verunsicherten Eltern. Das lag in erster Linie an den nur allgemein dargestellten Berufsgruppen und -zweigen, wie z.B. Beschäftigte im Vollzugsbereich einschließlich Justizvollzug, Maßregelvollzug und „vergleichbare Bereiche“ (Was verbirgt sich genau dahinter?). Ich wünsche mir an dieser Stelle vom Land einen genau definierten „Berufskatalog“, an dem wir uns leichter orientieren können. In der Richtlinie des Landes wird u.a. ebenso auf die Härtefallregelung „drohende Kindeswohlgefährdung“ hingewiesen und auch darauf, dass diese Kinder auch in der Notbetreuung aufgenommen werden können. Wir stellen uns hierbei wiederkehrend die Frage, wie wir in der jetzigen Situation eine drohende Kindeswohlgefährdung feststellen sollen, wo doch die meisten Gefährdungen während des laufenden Betriebs der Kindertagesstätten und der Schulen festgestellt werden. Bisher ist es uns gelungen, offene Fragen im engen Austausch mit den Betroffenen und Beteiligten zu klären.“

Vorgaben des Landes Niedersachsen
Dem kann man in der Tat zustimmen, wenn man sich die Vorgaben des Landes Niedersachsen „Fragen und Antworten zu Einrichtungsschließung und Notbetreuung für Kindertageseinrichtungen“ (Stand 25.04.2020) genauer anschaut. Hier exemplarisch die Passage zur Härtefallregelung: „In welchen besonderen Härtefällen kann im Einzelfall die Möglichkeit der Kinderbetreuung in einer Notfallgruppe eröffnet sein?
Bei der Beurteilung eines besonderen Härtefalles können folgende Gesichtspunkte Berücksichtigung finden:
• drohende Kindeswohlgefährdung,
• Vereinbarkeit von Familie und Beruf, insbesondere bei Alleinerziehenden,
• gemeinsame Betreuung von Geschwisterkindern,
• drohende Kündigung und erheblicher Verdienstausfall.
Allerdings sind auch die Härtefälle vor Ort eng auszulegen: Es ist immer das Ziel der Unterbrechung der Infektionsketten zu beachten. Es sollte daher in der Regel ein Nachweis gefordert werden, aus dem der Härtefall hervorgeht.
Vor Inanspruchnahme des Notbetriebs durch Erziehungsberechtigte sind zudem anderweitige Betreuungsmöglichkeiten auch in Härtefallsituationen vollständig auszuschöpfen.“

Gemeinsam Lösungen finden
Das Beispiel aus Niedersachsen – und das ist vom Grundsatz her in den anderen Bundesländern nicht anders – macht deutlich, dass es kaum möglich ist, jeden Einzelfall, der immer seine Besonderheiten hat, eindeutig durch zentrale Vorgaben zu regeln, vor allem wenn sich die Vorgaben von Benennung konkreter Berufe oder Einsatzbereiche, die in vielen Fällen offensichtlich auch nicht immer eindeutig sind (siehe oben: „Berufszweig von allgemeinem öffentlichen Interesse“), ablösen. Was ist beispielsweise ein „erheblicher Verdienstausfall“? Die schrittweise Ausweitung der Betreuung wird die Uneindeutigkeiten und Interessenkonflikte verschärfen. Das erleben wir ja gerade bei den Auseinandersetzungen um die Wiederöffnung der Geschäfte. Warum sollte das bei einer Ausweitung der Kinderbetreuung andres sein? Das Risiko, das darin steckt, ist, dass nicht mehr gemeinsam nach Lösungen gesucht, sondern gegeneinander gearbeitet wird, gegenseitige Schuldzuweisungen die Debatten bestimmen. Am Beispiel der Öffnung der Schulen in NRW kann man das nachvollziehen. Es ist doch auch klar, dass es bei der Findung von Lösungen immer auch um Kompromisse geht. Deren Akzeptanz kann aber nur dann erreicht werden, wenn die unterschiedlichen Akteure an der Entscheidungsfindung beteiligt werden – sowohl auf Landesebene als auch vor Ort. Die Landesregierungen sind schlecht beraten, wenn sie neben den epidemologischen Anforderungen nicht systematisch die Interessen, aber auch die Expertise der Kommunen, der Kita-Träger, der Elternverbände und ganz wesentlich auch der Beschäftigen (über die Gewerkschaften) in ihre Entscheidungsfindung und die Vorgaben für die nächsten Schritte einbinden. Das Gleiche gilt für die Ebene vor Ort. Hier sind dann die Vorgaben `von oben´ zur Ausweitung der Betreuung kommunal zu gestalten und umzusetzen sowie die nicht eindeutig geregelten Einzelfälle zu klären. Auch hier bietet es sich an eng mit den freien Trägern, den Elternbei- und Stadtelternräten sowie den Interessenvertretungen der Beschäftigten zusammenzuarbeiten. Der damit verbundene Aufwand wird sich auszahlen. Dass viele Menschen sich an der Suche nach Lösungen beteilgien und bei dern Umsetzung auch einbringen wollen, ist in den letzten Wochen mehr als deutlich geworden. Es wäre mehr als bedauerlich, dieses Potenzial nicht zu nutzen.

Das Personal ist der Schlüssel
Die kleinschrittige Ausweitung der Kinderbetreuung in den nächsten Wochen und Monaten ist nur möglich, wenn ausreichend qualifiziertes Personal zur Verfügung steht. Das schien beim bisherigen Umfang der Notbetreuung kein Problem zu sein, auch wenn die Situation in den einzelnen Kitas in zweifacher Hinsicht sehr unterschiedlich ist: In vielen Kitas gab es bisher überhaupt keine Notbetreuung und in anderen machte die Notbetreuung bis zu 80% der vorhandenen Plätz (z.B. eingruppige Elterninitiative in Münster) aus. Dazu kommt, dass die Alters- und Risikozusammensetzung in den Teams ein breites Spektrum abbildet. Manche Teams sind davon gar nicht betroffen, in anderen Teams ist ein Drittel, im Extremfall die Hälfte der Mitarbeiter*innen nicht oder nur eingeschränkt einsetzbar.
Bei der schrittweisen Ausweitung der Betreuung kann es in einzelnen Einrichtungen, bei einzelnen Trägern oder auch stadtteilbezogen schnell zu personellen Engpässen kommen. Hierauf bezieht sich die Fachempfehlung Nr. 16 des Landesministeriums für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen (LMKFFI) vom 26.04.2020: Vorläufiger Umgang mit Personalengpässen. Hier werden zum einen noch mal die personellen Mindeststandards an die Betreuung, die „zwingend einzuhalten“ sind, benannt und zum anderen ein drei Stufenplan zum Umgang Personalengpässen vorgegeben:
Stufe 1: Reduzierung des Betreuungsbedarfs im Konsens mit den Eltern
Stufe 2: Einsatz von trägerintern oder trägerübergreifendem verfügbarem Personal
Stufe 3: Aussetzen der Betreuung durch den jeweiligen Träger und Sicherstellung des Betreuungsanspruchs durch das Jugendamt
Auch hier wird noch mal deutlich, wie wichtig die Kommunikation und Zusammenarbeit aller Akteure vor Ort ist, um im Falle von Stufe 2 auf vorhandene Ressourcen schnell und vor allem auch trägerübergreifende zugreifen zu können. Dies setzt eine kontinuierliche und prospektive Datenlage zum Umfang der Notbetreuung und zum einsetzbaren Personal jeder einzelnen Kita vor Ort voraus; auch bedarf es eindeutigen Ansprechpersonen und der Verabredung von verbindlichen und zeitnah nutzbaren Informationswegen und Kommunikationssettings. Auf zwei Aspekte, die in Beschaffung von ausreichendem Personal von Bedeutung sind, möchte ich hier schon kurz hinweisen. Das ist zum einen die Arbeitsteilung zwischen denen die in der Betreuung arbeiten und denen die – aus welchen Gründen – auch immer aktuell im Home Office sind. Diese könnten sich zum Beispiel bei der Ausweitung der Betreuung in den Kitas zunehmend um die Kinder, die weiter zuhause sind, kümmern. Zum anderen sollte ab sofort nach Zielgruppen außerhalb der Kitas gesucht werden, die die ja nicht unwahrscheinlichen Engpässe kompensieren helfen. Es sind aktuell 10 Millionen Menschen in Kurzarbeit. Darunter werden auch Personen sein, die eine Nähe zu sozialen Berufen haben; oder: Studierende, die gerade ihren Aushilfsjob verloren haben, und Geld verdienen müssen; Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren wollen. Hier bietet sich die Zusammenarbeit mit den Freiwilligenagenturen an. Usw.

Wenn Sie vor Ort zur Kooperation und Zusammenarbeit der Interessengruppen und / oder zu Fragen des Personaleinsatzes und der -beschaffung Ideen und Anregungen, schon Erfahrungen gesammelt, praktische Beispeile umgesetzt haben, dann lassen Sie uns das wissen. Wir freuen uns auf Ihre Nachricht.